„Sie ist verschwunden.“
Seine Augen blickten starr geradeaus, die Stimme, sonst so emotionslos, verriet ein kaum wahrnehmbares Zittern.
Ein Soldat zeigt keine Schwäche.
Niemals.
Jeder Tag begann und endete für ihn mit diesen Worten. Die Worte, die Kraft und Mut versprachen. Die Worte, die sie jeden Tag der Ewigen versprachen. Die Worte, die sie beschützten, die sie leiteten.
Bis vor einem Augenblick.
Der Junge stand mit dem Rücken zu ihm. In seine offiziellen blauen Kleider gehüllt, die ihn als Wahrsager der Prinzessin auszeichneten. Klein, die schmalen Schultern bewegungslos. Sprachlos für jeden. Nur nicht für sie.
Sein kleiner Umhang regte sich ein wenig. Der Junge wandt sich um, sah dem Soldaten vor sich mit seinen großen blauen Augen an. Regungslos der Blick, wissend der Ausdruck auf seinem kleinen Gesicht.
‚Beim Licht!‘, dachte der Soldat. ‚Er ist kaum älter, als mein Sohn.‘
Die blauen Augen schlossen sich. Die schmale Brust hob und senkte sich langsam.
Und der Junge sprach.
„Sie wird zurückkehren.“
Doch blieb sie verschwunden.
Und Nacht legte sich über Erayu.
„Die Dunkelheit breitet sich aus. Jeden Tag kommen Vertreter der Völker zu uns und berichten von neuen dunklen Flecken.“, der Soldat drehte sich zu den beiden Freiwilligen, die sich nebeneinander aufgestellt hatten. Seine vertrauenswürdigsten Rekruten. Geübt im Umgang mit dem Schwert und erfüllt von Disziplin und Tatenkraft.
„Wir müssen wissen, womit wir es zu tun haben. Deswegen habe ich euch gewählt.“, er holte tief Luft, ehe er weitersprach. „Ihr werdet ins Dunkel gehen und herausfinden, was dort ist, wo die Bewohner geblieben sind und wie man es aufhalten kann.“
Stille. Für eine Weile.
„Jawohl, Herr!“, riefen beide zugleich und salutierten vor ihm.
Sie kamen niemals zurück.
Und Verzweiflung keimte in allen Herzen.
„Es ist alles verloren.“ Die Augen starr geradeaus gerichtet. Seine Stimme zitterte nicht, verriet keine Emotion. Es war nichts mehr geblieben. Keine Hoffnung, keine Zukunft.
Der Junge sah ihn an. Die blauen Augen in die Ferne gerichtet, als wäre sein Geist nicht länger anwesend. Als blickten sie in eine Welt, die jedem anderen verborgen war. Als sähen sie Dinge, die kein anderer verstehen konnte.
Er wusste nicht, warum er fragte. Aber tief in seinem Herzen wusste er, dass er es musste. Wusste, dass er niemals Gewissheit haben konnte, wenn er schwieg. Was auch immer er erfahren sollte, es wäre besser als Unwissenheit.
„Was seht Ihr?“
Langsam, beinahe widerwillig, kehrte der Blick aus dieser fremden Welt zurück, die nur er zu sehen in der Lage war. Kehrte zurück und heftete sich auf das Gesicht des Soldaten. Wissend und älter, als es dem kleinen Gesicht zugestanden hätte.
Der Junge drehte sich langsam. Als wolle er den sehenden Augen des Soldaten entkommen. Tat einen Schritt von ihm weg, als wäre er im Begriff, ihn einfach allein zu lassen. Doch er blieb stehen, atmete langsam, gleichmäßig. Schloss die Augen, öffnete sie wieder und wandt sich um zum wartenden Soldaten.
„Ich sehe ein Kind.“, sagte er langsam und recht leise. „Es kann uns retten.“
Doch niemals erschien es.
Der Junge verschwand. Ebenso spurlos, wie die ewige Prinzessin.
Wo das Dunkel erschien, verschwanden die Bewohner Erayus. Der Rest zog fort, zu neuen Orten. Um die Verlorenen trauernd, die sie zurücklassen mussten.
Auf der Suche nach neuer Hoffnung.